Rettet das Kulturmagazin!
Von Thom Nagy | 3. September 2009 | 25 Kommentare
Die Basler Zeitung schneidet sich ihr Filetstück aus dem Leib: Das Kulturmagazin. Ein fataler Entscheid.
Die Spatzen pfeifen es vom Dach: Das Kulturmagazin der Basler Zeitung, das rund 5 Jahre lang eine Beilage im Tabloid-Format war, soll wieder in die reguläre Zeitung integriert werden. Aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive ist diese Massnahme wohl sinnvoll.
Trotzdem ist der Entscheid falsch. Die BaZ stampft mit dieser Massnahme munter weiter in Richtung Dinosaurier-Friedhof. Denn genau dieses Kulturmagazin ist es, was eine regionale Tageszeitung wie die BaZ noch einigermassen lesenswert macht. Auslandsberichterstattung, Wirtschaftsnews, Sport – das alles kriege ich im Netz aktueller, ausführlicher, besser gemacht, und vor allem gratis.
Der Lokalbezug der Kultur aber, der sorgt für Gesprächsstoff. Der schafft Gemeinschaft. Er gibt Impulse, stösst Debatten an. Dafür bin ich als Leser gerne bereit, etwas zu bezahlen. Zudem ist ein Kulturteil, der sich eher an der Popkultur denn an feuilletonistischem Dünkel orientiert, mit ziemlicher Sicherheit derjenige Teil der Zeitung, der noch am ehesten ein junges Publikum anspricht.
Wie man aus gut informierten Kreisen vernimmt, liegt die positive Wahrnehmung des (mehrfach preisgekrönten) Kulturmagazins bei sagenhaften 40%. Bei anderen Zeitungen im deutschsprachigen Raum wird das Feuilleton im Schnitt von lausigen 16% der Leserschaft überhaupt wahrgenommen. Die Basler Zeitung hat sich hier ein echtes Alleinstellungsmerkmal geschaffen, eines der letzten, das ihr geblieben ist. Ausgerechnet dieses will sie aufgeben.
Als kulturell interessierter Bewohner dieser Stadt muss ich meine Stimme erheben gegen diesen Unfug. Denn auch wenn es zwei, drei Blogs gibt, die sich hin und wieder zu Party und Popkultur in Basel äussern, können sie die zunehmende Erosion der kulturellen Berichterstattung nur in begrenztem Masse kompensieren. Denn ein Blog beackert immer nur einen kleinen Ausschnitt davon, was geht. Und niemand macht sich die Mühe, weit über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, wenn es nicht so kompakt in einem schön aufbereiteten Paket daher kommt, wie hier.
Ein Regierungsrat wird sich wohl nie auf eine Seite wie 78s, infamy oder diemagazin verirren, um sich über das kulturelle Geschehen seiner Stadt zu informieren. Er wird aber sehr wohl das Kulturmagazin durchblättern. Und wenn dort zwischen einer Theaterkritik und einem Wein-Geheimtip ein Bericht über eine Punkband steht, dann erhält letztere in seinen Augen ein Gewicht – und bei der nächsten Parlamentsabstimmung wird er sich zwei mal überlegen, ob er die Subvention der „Jugendkultur“ streichen will.
Und jetzt kommt ihr ins Spiel: Die Leserschaft. Denn eure Stimme zählt viel mehr, als ihr annehmt. Bei rund 168’000 Lesern fällt es sehr wohl ins Gewicht, wenn ein paar hundert davon laut protestieren. Vor allem, wenn es diejenigen sind, welche dieser Zeitung noch länger als ein paar Jahre erhalten bleiben. Deswegen: Schreibt doch eine Mail an kommunikation@baz.ch und sagt ihnen, weshalb es eine wirklich schlechte Idee wäre, den Kulturteil der BaZ zu kastrieren. Vielleicht weiss Herr Hagemann ja, wie man ein Mailprogramm bedient, liest eure Zuschriften und denkt noch einmal über die ganze Sache nach.
> Facebook-Gruppe: Wenn ihr das Kulturmagazin streicht, bin ich euer Leser gewesen!
Thom Nagy, 31, aus Basel, ist Unterhaltungsredaktor bei 20 Minuten Online. Seine Meinung in diesem Gastbeitrag deckt sich nicht zwingend mit derjenigen von 78s, aber höchstwahrscheinlich.
25 Reaktionen
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21:51 Uhr, 3.9.2009, Link
Schön und gut. Ich hätte da auch noch eine Idee: Wie wär’s mit einem anständigen Kulturteil auf 20 Minuten Online?
21:53 Uhr, 3.9.2009, Link
Gibt’s ja nicht. Das ist für Basel eine Katastrophe. Aber wenn man die heutigen Tamedia-Zahlen gesehen hat, weiss man, wieso gerade die Kultur geschröpft wird …
22:16 Uhr, 3.9.2009, Link
Die Einstellung des Kulturmagazins wäre ein gewaltiger strategischer Fehler.
07:40 Uhr, 4.9.2009, Link
Wie einer, der in der Wüste umherirrt und seine Wasserflasche wegwirft, weil sie ihn zu schwer ist.
08:19 Uhr, 4.9.2009, Link
noch zwei kleine anmerkungen, die mir beim einmal drüber schlafen in den sinn gekommen sind:
1. es klingt im text vielleicht so, aber das kulturmagazin ist keinesfalls über alle zweifel erhaben. ich habe die themensetzung der redaktion immer wieder als unausgewogen empfunden und die artikel kamen für meinen geschmack oft übermässig verkopft daher. trotzdem lese ich es immer wieder gerne. und an der tatsache, dass es das filetstück der baz ist, ändert diese anmerkung gleich gar nichts.
2. die eingliederung des kulturmagazins in den rest der zeitung heisst nicht zwangsläufig eine reduktion der baz-kulturleistung. eine abwertung derselben bedeutet sie aber in jedem fall. selbst wenn diese nur gestalterischer natur ist.
09:55 Uhr, 4.9.2009, Link
Wenn aus vier Bünden plus Supplement vier Bünde werden, dann wird zwangsweise nicht nur drucktechnisch gespart. Die Kultur wird redaktionell nicht nur weniger Gewicht bekommen, sondern auch weniger Platz. Vor allem aber kommt die Kultur in der Baz dann so daher wie in jeder anderen Zeitung. Das in Altpapier eingewickelte Kulturmagazin ist faktisch der letzte Trumpf der Basler Zeitung in einem mehr als schwierigen Markt- und Konkurrenzumfeld.
18:03 Uhr, 5.9.2009, Link
Das ist in der Tat ein schlechter Entscheid! Das kulturmagazin ist eines der weingen Gründe, die BaZ überhaupt noch durchzublättern. Allerdings nicht weiter verwunderlich: in letzter Zeit ist die BaZ ja nicht gerade mit kreativem Zeitungsmachen aufgefallen. Jetzt wird sie halt noch ein Stück irrelevanter. Na ja, vielleicht entsteht dadurch irgendwann ja auch Platz für etwas Neues.
12:40 Uhr, 9.9.2009, Link
Inzwischen gibt es auch die passende Facebook-Gruppe dazu:
http://www.facebook.com/home.php#/group.php?gid=152645426662&ref=nf
10:27 Uhr, 12.9.2009, Link
ohne kulturmag werde ich die zeitung wirklich nicht mehr brauchen.
hat die baz nicht kürzlich über erfolgreiche zeitungsmodelle berichtet und darin festgestellt, dass leser durchaus auf qualität und originalität setzen. abgeschriebene agenturmeldungen muss ich mir nicht am kiosk kaufen. kulturteil massiv aufwerten wäre die devise und den auslandteil ausbauen oder abschaffen. alles andere wird nicht funktionieren und weiter leser kosten.
10:50 Uhr, 12.9.2009, Link
Ja, im Magazin, das auch der Baz beiliegt, wurde darüber berichtet. http://dasmagazin.ch/index.php/sind-zeitungen-tot/.
Das absurde ist ja: Die Baz wurde bereits mehrfach an den European Newspaper Awards für ihr Kulturmagazin ausgezeichnet und war jeweils ziemlich stolz darauf. Mit Recht.
Der Grund für diesen strategischen Fehlentscheid liegt wohl an zwei Orten.
– Das Controlling sieht nur nackte Zahlen und die sehen bei der Baz nicht gerade schön aus. Das Kulturmagazin ist überproportional teuer und bietet schönes Einsparpotenzial. Man rechnet wohl damit, dass der Substanzverlust niemandem wirklich negativ auffällt und mit tieferen Kosten ein gleich attraktives Produkt herstellen kann.
– Das Selbstverständnis der Basler Zeitung scheint immer noch das einer Zeitung von nationaler Relevanz zu sein. Eine Zeitung, die ihren Lesern in erster Linie (nationale und internationale) Poltik und Wirtschaft nahe bringen muss. Das sind (branchenintern) die Königsdisziplinen, aber nicht das, was der Leser von der Baz erwartet. Die Baz ist finanziell gar nicht in der Lage, diese Themen auf einem Niveau zu behandeln, das für den interessierten Leser befriedigend ist. Diese Informationen holen sich Basler im Netz oder falls in gedruckter Form bei NZZ oder Tagi. Die Stärke der Baz liegt im lokalen und regionalen, auch und besonders bei der Kultur. Dort erhält der Leser einen Mehrwert, den er nur von der Baz erhält. Dafür kauft Herr und Frau Basler die Baz noch.
11:35 Uhr, 12.9.2009, Link
meine worte…hinzuzufügen gäbe es allenfalls noch die fussballberichterstattung
11:40 Uhr, 12.9.2009, Link
Die zähle ich auch zum Regionalen.
11:44 Uhr, 12.9.2009, Link
na dann gibts nix mehr hinzuzufügen und wir sind uns einig :)
wie gesagt ohne kulturmagazin brauche ich die baz einfach nicht mehr
20:15 Uhr, 13.9.2009, Link
Thom Nagy hat natürlich recht, nicht nur aus lokalpatriotischer sicht, sondern im sinn des qualitativen journalismus in der auseinandersetzung um kultur und kunst. kultur und kunst sind das gedächtnis der menschheit, kein blog und kein gratismagazin kann das ersetzen, denn unter 4’000 zeichen text ist eine ernstzunehmende journalistische auseinandersetzung mit kultur nur sehr schwer möglich. in der popkultur sind die kritiker des printjournalismus etwas ins abseits geraten – zu recht auch etwas vom hohen ross gestossen worden – aber die kompetente meinung etwa von nick joyce oder die grantigen buchrezensionen von christine richard sind mir doch sehr viel mehr wert als albernes „ich war backstage bei jan delay“-gesülze einer minderbemittelten people-schreiberin oder das abdrucken von verlags-waschzetteln
.
und abgesehen davon soll man in cafés kaffee trinken und zeitung lesen können und auch mal eine zeitung austauschen und wild rumfuchteln, wenn einem etwas, das geschrieben steht, nicht passt. und nicht am laptob rumfingern.
lesen und medienkultur sind auch kultur.
die kulturmagazin-redaktion müsste aber schon einen effort richtung kern der urbanen kultur machen. mutiger, offener, neugieriger und visionärer, finde ich. und die regionale kulturberichterstattung stärken.
noch ein wort zur gratis-information aus dem netz: was kostet eigentlich ein iBook? (ich hab keins). so 2’500 franken, oder? plus software und gadgets, oder? ein abo der süddeutschen zeitung oder der baz ist da immer noch viel billiger. oder im café lesen taugt eben auch. ausserdem finde ich in der baz die todesanzeigen und die lese ich immer zuerst. dann die geburtsanzeigen. dann das kulturmagazin.
ahoi!
chrigel
ps: ich denke eher, der verlag basler medien (baz etc.) wird demnächst nach züri verkauft. TA-media. leider.
14:24 Uhr, 14.9.2009, Link
Laut BAZ-internen Quellen ist der definitive Entscheid zur Einstellung des Kulturmagazins heute gefallen.Korrigiert, siehe Kommentar weiter unten.18:15 Uhr, 14.9.2009, Link
kann man diese quellen etwas lüften? geplant war der entscheid ja per 16.9. hast du quellen in der chefetage?
18:27 Uhr, 14.9.2009, Link
Nein, habe ich nicht. Wie’s scheint, habe ich etwas missverstanden. Warten wir also mal noch ab.
21:01 Uhr, 14.9.2009, Link
…
22:51 Uhr, 14.9.2009, Link
schon interessant, wie die informationen da fliessen. anhand der zeit, an der diese „info“ rausging, dürfte man leicht einkreisen können, wer da als spitzel fungiert.
23:03 Uhr, 14.9.2009, Link
Vergesst die Zuweisungen. Die Zeit meines Kommentars ist nicht allzu nah an der Zeit, an der ich die Info erhalten habe. Ausserdem habe ich offensichtlich etwas falsch verstanden, was die Sache unerheblich macht. Worauf es wirklich ankommt: Es gilt weiter der Baz zu zeigen, dass dieser Entscheid eine denkbar schlechte Idee ist. E-Mails schreiben, Facebook-Gruppe beitreten, Starbucks-Sit-In am Aeschenplatz, was auch immer…
23:12 Uhr, 14.9.2009, Link
ah, kalte füsse?
00:09 Uhr, 15.9.2009, Link
Nö. Aber ist ja klar, dass ich keine Quellen nenne. Und nochmals: Offenbar ist der Entscheid ja noch nicht gefallen.
15:07 Uhr, 15.9.2009, Link
Kalte Füsse haben nur anonyme Blogger.
19:54 Uhr, 15.9.2009, Link
Der Entscheid ist gefallen: http://bazonline.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Basler-Zeitung-wechselt-Format-des-Kulturteils/story/23651728