Piratenpartei marschiert nach Brüssel und (vielleicht) bald auch nach Bern
Von Mathias Menzl | 9. Juni 2009 | 13 Kommentare
Die schwedische Piratenpartei hat bei den Europawahlen vom vergangenen Wochenende mit 7.1 Prozent Wählerstimmen einen Sitz im Europaparlement gewonnen. Es könnte erst der Anfang einer neuen politischen Bewegung sein, auch in der Schweiz.
Die schwedische „Hauptniederlassung“ der Piratenpartei – es gibt sie auch in Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Österreich, Polen und Spanien – hat ihren ersten zählbaren Wahlerfolg verbuchen können. Mit 7.1 Prozent hat sie bei den Europawahlen einen Sitz für sich gewonnen. In der Zielgruppe der 18- bis 30-Jährigen hat sie sogar 19 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt. Ein Erfolg, der erst der Anfang eines Erfolgzuges sein könnte.
Die Piratenpartei will sich für einen besseren Datenschutz, eine Lockerung des Urheber- und Patentrechts und eine Legalisierung des Datentausches im Web (Filesharing) einsetzen. Ihren Aufschwung erlebte die Partei im April dieses Jahres. Hintergrund war ein Prozess (Link) gegen die Internettauschbörse „Pirate Bay“, auf der sich bis zu 25 Millionen Nutzer illegal Dateien zuschieben. Vertreter von Musik- und Filmindustrie klagten wegen Urheberrechtsverletzungen. Die Partei hat nichtsdestotrotz keine direkten Verbindungen zur File-Sharing-Plattform Pirate Bay, ausser natürlich ähnlichen Anliegen und dem Mobilisierungsgrund. Denn es ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass der rasante Parteizuwachs auf mittlerweile 46’000 Mitglieder vor allem dem Prozess zuzuschreiben war.
In der Online-Ausgabe von 20min relativiert der Schweize Politologe Georg Lutz das Ergebnis: Ein sexy Name werde nicht ausreichen, um langfristig Erfolg zu haben. Das Programm der Ein-Themen-Partei sei so gewagt, dass man damit wohl höchstens Protestwähler fangen könne.
Klar, aber auch bloss mit einem Thema und ein paar Protestwählern kann man das politische Gefüge ziemlich durcheinander wirbeln, so die „78s-Claude-Longchamp-Analyse“. Es kommt lediglich darauf an, wie bedeutend das Thema für eine potentielle Wählerschicht ist und wie stark dieses vom Partei-Establishment vernachlässigt wird. Die Autopartei ist das beste Beispiel. „Freie Fahrt für freie Bürger“ war Ende der 80er und zu Beginn der 90er ein ziemlich mobilisierender Slogan. „Freies Surfen für freie Bürger“ könnte in der heutigen Zeit genauso wirken. Vor allem bei den Jungen stossen die Anliegen der „Piraten“ auf offene Ohren. Viele von ihnen sehen illegales File-Sharing nicht als kriminelle Handlung, obwohl die Medien-Industrie die Öffentlichkeit davon zu überzeugen versucht, dass es so kriminell sei wie Ladendiebstahl, so der Technologie-Korrespondent der BBC, Rory Cellan-Jones (Link). Der Erfolg der Piratenpartei lässt sich einfach erklären: Der Medienwandel ist erst bei wenigen Über-30-Jährigen so richtig angekommen. Die Jungen leben in einer völlig anderen Welt. Das haben viele noch nicht realisiert. Ihren Bedürfnisse wird zurzeit nur mit Repression und schlechter Presse begegnet. Die Piratenpartei jedoch setzt sich für sie ein.
Auch in der Schweiz geht es vielen Jugendlichen ähnlich. Kein Wunder also, dass die Schweizer Piratenpartei darum am 12. Juli ihren Gründungstag erleben wird. „Es werden immer mehr Entschlüsse gefällt, die nicht dem Zeitgeist entsprechen“, begründet Gründungsmitglied Denis Simonet die Notwendigkeit der Partei auf 20min.ch. Sie zielen vor allem auf die junge Zielgruppe ab. Eine Altersschicht also, die durch diese Anliegen politisiert werden könnte und darum wohl besondere Sprengkraft entwickeln könnte. Ausserdem ist das Thema sexy. Aber nicht bloss jüngere Semester vertreten ihre Anliegen. Der erste Europa-Abgeordnete der Partei, Christian Engström, ist bereits 49 Jahre alt und eine Mitgliederzahl von 46’000 erreicht man wohl auch nicht ausschliesslich mit Jungen.
Die gleichen Voraussetzungen wie die Piratenparteien heutzutage hatten die Neuen sozialen Bewegungen in den 70er Jahren vorgefunden. Ein verkrustetes Partei-Establishment, das sich nicht schnell genug auf neue Bedürfnisse umstellen konnte. Damals mit den Themen Umweltschutz und AKWs. Und daraus sind dann letztlich die Grünen Parteien entstanden. Letztere setzten sich wohlgemerkt bisher auch am meisten für die Anliegen der Piratenparteien ein. Offensichtlich nicht vehement genug.
Völlig bedeutunglos und ohne politische Auswirkung ist der 12. Juli, der Gründungstag der Schweizer Piratenpartei, also mitnichten. Im Gegenteil, es könnte der Beginn einer neuen sozialen Bewegung sein, die politischen Einfluss gewinnt.