Dr. Pop, was hat es mit all diesen Japan-Editionen auf sich?
Von Dr. Pop | 20. Mai 2009 | 2 Kommentare
Japanische Tonträger bieten Extras, die dem westlichen Fan verwehrt bleiben. Dr. Pop erklärt warum.
Japan ist das gelobte Land der Musikindustrie. Wir alle kennen die Mythen von hierzulande erfolglosen Musikern, die in Japan angeblich auf offener Strasse erkannt und um Autogramme gebeten werden. Big in Japan – Alphaville und Tom Waits haben den Traum vom schnellen Erfolg im Land der aufgehenden Sonne besungen. Promobeipackzettel erzählen immer wieder gerne davon, wie mittelklassige Bands aus Mitteleuropa in Tokio Hallen füllen. Tatsächlich ist auf dem japanischen Markt einiges zu holen, denn er ist der zweitgrösste der Welt. Allerdings hat er auch seine eigenen Gesetze.
Eine der Eigentümlichkeiten von japanischen Tonträgern ist der sogenannte Obi-Streifen. Das auf japanisch beschriftete Bändchen, das Details zum Album enthält, wird um jeden Tonträger gewickelt, der in Japan produziert wird. Obwohl die Japaner den Streifen ursprünglich Tasuki (dt. Band) nannten, setzte sich in den 60ern und 70ern unter europäischen und amerikanischen Sammlern der Begriff Obi (dt. Gürtel) durch, weil die Bändchen an Kimonogürtel erinnern. Schliesslich haben die Japaner eingelenkt und nennen das Ding nun ebenfalls so. In Sammlerkreisen gilt: Obi niemals entfernen! Denn ohne Obi ist jede Japan-Pressung deutlich weniger wert.
Der Obi hat gewiss sein Scherfchen zum Exotenbonus der japanischen Pressungen beigetragen. Hinzu kommt, dass Japan-Editions oft von speziellen Covers geziert werden und vielfach Bonustracks enthalten. Besonders die exklusiven Japan-Only-Songs machen japanische Editionen bei eingefleischten Fans so begehrt. Viele dieser Stücke erscheinen nie auf dem westlichen Markt. Ausnahmslos alle Songs der Lieblingsband zu sammeln, kann durch japanische Bonustracks zu einem zeitraubenden und teuren Unterfangen werden. Auf ebay werden Japan-Editions nicht selten für dreistellige Beträge angeboten.
Doch warum bieten Musiker ausgerechnet ihren japanischen Fans exklusive Bonustracks, die sie dem westlichen Publikum vorenthalten? Der Grund dafür ist im 1953 eingeführten Preisbindungssystem Saihan Seido verwurzelt, dem alle in Japan produzierten Tonträger, Bücher, Magazine und Zeitungen unterstehen. Auf allen japanischen CDs und LPs wird ein fixer Preis aufgedruckt sowie eine Periode, in welcher dieser gültig ist. Erst nach Ablauf dieser Frist, die zwischen sechs Monaten und zwei Jahren beträgt, darf der Preis reduziert werden.
Japanische Tonträger gehören deshalb zu den teuersten der Welt. Durchschnittlich bezahlt man in Japan für eine CD etwa 3000 Yen, was ca. 35 Franken entspricht. Westliche Pressungen sind hingegen rund ein Drittel billiger, weil Importe der Preisbindung nicht unterliegen. Der Grund für die exklusiven Bonustracks von Japan-Editions liegt also auf der Hand: Man will den Käufern einen Mehrwert gegenüber den billigeren Importen bieten. Aus demselben Grund enthalten die japanischen Pressungen auch ein zweites Booklet, in dem die Texte auf japanisch übersetzt sind.
Zwar ist das Saihan Seido in den letzten Jahren vermehrt unter Beschuss geraten, doch die japanische Regierung weigert sich nach wie vor standhaft die Preisbindung aufzuheben. Allerdings ist das Saihan Seido für den Musikmarkt ohnehin immer weniger relevant, weil es den Downloadmarkt nicht tangiert. Und dieser floriert in Japan wie nirgends sonst. Kein anderes Volk bezahlt so brav für Downloads wie die Japaner. Jeder zweite Musik-Download ist nach Angaben des japanischen Branchenverbandes Riaj legal, weltweit ist es gerade mal jeder zwanzigste.
Saihan Seido hin oder her – die Tage der Japan-Editions scheinen gezählt. Die japanischen Bonustracks werden früher oder später der Download-Globalisierung zum Opfer fallen.
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2 Reaktionen
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11:22 Uhr, 21.5.2009, Link
Frage beantwortet. Danke Dr. Pop.
13:52 Uhr, 21.5.2009, Link
Die beste und ausführlichste Erklärung der Japan-Editions, die ich bisher gelesen habe. Wirklich sehr informativ. Danke, Dr. Pop :-)