Kroatien: Das Land mit dem musikalischsten Coach
Von Ralph Hofbauer | 29. Mai 2008 | 10 Kommentare
Guter Fussball ist wie gute Musik: leidenschaftlich, druckvoll und treffsicher. 78s präsentiert die Teilnehmerländer der Fussball-Europameisterschaft von ihrer musikalischen Seite. Heute: Kroatien.
Die Musik liegt den Kroaten offenbar im Blut. Nationaltrainer Slaven Bilić hat den kroatischen Euro-Song mit seiner Band Rawbau gleich selbst eingespielt.
Das kommt nicht von ungefähr, schliesslich hat Bilić’s Heimatland die reichhaltigste Musiktradition Ex-Jugoslawiens hervorgebracht. Von der schwermütigen und doch lüpfigen Tamburica-Musik über die ätherischen Klapa-Chöre aus Dalmatien bis hin zu der pentatonischen istrischen Tonleiter hat die kroatische Volksmusik verschiedenste Facetten zu bieten.
Die Populärmusik Kroatiens wurde von der Eurovision-Kultur entscheidend mitgeprägt. Wer in den 60ern und 70ern den Durchbruch schaffen wollte, trat an den Festivals in Zagreb und Split auf, in der Hoffnung darauf an den Concours Eurovision geschickt zu werden. Entsprechend seicht klingen heute grosse Teile der kroatischen Popmusik. Wie in allen ex-jugoslawischen Staaten ausser Slowien ist auch in Kroatien Turbo-Folk sehr populär, ein nervtötendes Gebräu aus Volksmusik, Schlager, Rock und Techno. Eine der prominentesten kroatischen Vertreterinnen dieses Genres ist Severina Vuckovic, die 2006 am Eurovision-Contest vertreten war.
Der Turbo-Folk hat nicht selten politische Untertöne. Man verbindet mit ihm gewaltätige Hinterwäldler und eine nationalistische Gesinnung (wir erinnern uns an die Kriegsverbrecher-Gattin und Turbo-Folk-Sängerin Ceca, die allerdings auf der Seite der Serben stand). Politische Inhalte schleichen sich offenbar auch sonst gerne in kroatische Musik: Marko Perković sorgt mit neofaschistischem Liedgut für Kontroversen.
Doch abseits von Nationalismus und Schlagerstumpfsinn hat Kroatien durchaus einiges an interessanter Musik zu bieten. Die Seefahrerlieder von Toma Bebic, der inzwischen das Zeitliche gesegnet hat, sind ebenso legendär wie der anarchistische Schauspieler selbst. Andere kroatische Legenden sind noch heute aktiv: Darko Rundek serviert mit seinem Cargo Orchestar einen feuchtfröhlichen Balkancocktail und Goran Tudor komponiert anmutige Stücke zwischen Klassik und Jazz.
Die populärste Plattform für junge Musik aus Kroatien ist MTV-Adria, wo Künstler aus Kroatien, Slowenien, Bosnien, Serbien und Montenegro gespielt werden. Und natürlich MySpace. Eine Entdeckungsreise durch das kroatische Netzwerk hat folgende Bands ans Licht gebracht: Jinx und Pipschips&Videoclips machen süffigen Pop, Startas und Leut Magnetik schnittigen New Wave-Disco von internationalem Format und Things Fall Apart brauchen sich vor renommierten Screamo-Bands nicht zu verstecken.
Fazit: Das junge Kroatien ist hipper als man meinen könnte.
Bisher erschienen in der 78s-Euro-08-Serie:
> Schweden
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> Türkei
> Österreich
> Portugal
> Deutschland
> Frankreich
> Tschechien
Die Illustration stammt aus dem Euro 08-Sammelalbum des Tschuttiheftli, dem einzig wahren Fussballbildli-Album: > Mehr Infos.