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Dr. Pop, höre ich Popmusik, weil ich mich schlecht fühle oder geht es mir schlecht, weil ich Popmusik höre?

Von    |   15. Mai 2008   |   2 Kommentare

Gefallen Ihnen die traurigen Lieder immer am besten? Haben auch Sie sich schon gefragt, ob sich dies auf Ihre Psyche auswirkt? Die Frage nach dem Zusammenhang von Pop und Unglück hat sich auch Nick Hornby in „High Fidelity“ gestellt. Dr. Pop beantwortet sie.

Illustration: Sarah von Blumenthal

Für ein Kind ist Musik ein physisches Erlebnis. Es klatscht in die Hände, tanzt vielleicht oder singt mit. Dabei wundert es sich über die Bedeutungen der Songtexte, die es als Teenager allmählich zu begreifen beginnt. Als Jugendlicher vergeistlicht man Musik zunehmends und entdeckt, dass Popsongs wieder und wieder Schmerz, Verzweiflung und Trauer transportieren. Gerade in der Independent-Musik gehört das Unglücklichsein zum guten Ton. Es gibt ganze Genres, die sich dem Schlechtfühlen verschrieben haben: Gothic, Shoegazer, Sad- oder Hatecore. Der Vater der popkulturellen Miesepetrigkeit ist der Blues.

Es kann kein Zufall sein, dass Leid und Lied phonetisch so nahe zusammenliegen. Musik macht seit jeher den sonst so abstrakten Weltschmerz greifbar. Schliesslich drückt sie laut Victor Hugo „das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ So sind traurige Songs ein wunderbarer Katalysator für das Selbstmitleid, das man mit niemandem teilen kann. Passionierte Musikhörer sind süchtig nach dem Gefühl, sich von Musik verstanden zu fühlen. CDs sind für sie Rettungsringe, Songtexte Strohhalme, Melodien Medizin. Maya Angelou hat die Geborgenheit, die Musik spendet, einmal sehr eloquent ausgedrückt: „Music was my refuge. I could crawl into the space between the notes and curl my back to loneliness.“

Dass man melancholische Musik bevorzugt, scheint deshalb nicht abwegig. Doch wie gross ist der Einfluss der Musik auf unsere Psyche? Wird, wer seinem Herz zu viel traurige Musik zumutet, depressiv?

Die anregende Wirkung von Musik auf den menschlichen Organismus ist unbestritten, sonst gäbe es keine Discotheken. Neurowissenschaftler konnten denn auch einen Zusammenhang zwischen basslastiger Musik und der Produktion des Glückshormons Serotonin zeigen. Die Forschung hat zudem bewiesen, dass aktives Musikhören das Gehirn trainiert, da die beiden Gehirnhälften die Musik erst zusammensetzen müssen. Auch über die psychologischen Analogien zwischen Musik und den Geräuschen im Mutterbauch hat die Wissenschaft bereits spekuliert.

Es ist also durchaus denkbar, dass Musik uns die Nabelschnur zurück gibt und die gekappte Verbindung zum Universum kittet. Doch vielleicht ist Ihnen das nun zu esoterisch, halten wir uns deshalb uns an die Fakten: Auch wenn es Studien gibt, die belegen, dass klassische Musik gescheit und Gangsta-Rap aggressiv macht, ist ein Zusammenhang zwischen einem melancholischen Musikgeschmack und Depressionen wissenschaftlich nicht belegt. Eltern von Emo-Kids kann also Entwarnung gegeben werden, das Leben ihrer Kinder ist nicht in Gefahr (sofern sie nicht zu Tode geprügelt werden).

Ich rate Ihnen: Glauben Sie an die katharsische Wirkung der Musik. Traurige Lieder können glücklich machen, schliesslich schreiben gebrochene Herzen die schönsten Songs. Statt Prozac und Musikabstinenz möchte ich Ihnen deshalb eine Band verschreiben, die Sie mit ihrer traurigen Musik vielleicht ein wenig glücklicher macht: Bowerbirds. Nebenwirkungen wie Herzschmerz und Tränenreiz sind allerdings nicht ausgeschlossen:


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> Leserfragen an Dr. Pop, den Briefkastenonkel von 78s, an: dr.pop@78s.ch

2 Reaktionen

  1. #1 silversurfer

    12:45 Uhr, 30.6.2009, Link

    tolles stück. hüpft aufs brett „hüpf“ und entschwindet in die unendlichen weiten des alls..

  2. #2 traeumer

    22:57 Uhr, 30.6.2009, Link

    gutes lied wenn man einschlafen möchte

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