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The Magnetic Fields: Sirenen im Klangnebel

Von    |   6. Februar 2008   |   0 Kommentare

Penetranter Sirenenlärm vermiest mir die erste Begegnung mit dem neuen The Magnetic Fields-Album „Distortion“. Ich wusste wie immer nichts von der gesamtschweizerischen Sirenenkontrolle und stelle mir vor was wäre, wenn dies kein Test, sondern der Ernstfall wäre.

The Magnetic Fields

Wie der frischgebackene Armeechef Roland Nef im staatlichen Rundfunk mit zitternder Stimme den Ausnahmezustand ausruft. Wie Aussenministerin Calmy-Rey die in Luftschutzbunker gepfärchte Bevölkerung über diesen Krieg aufklärt, den niemand hat kommen sehen. Wie unsere letzten Soldaten mit Todesangst in den Augen Abschied von ihren Liebsten nehmen. Wie das Feuer eröffnet wird.

Natürlich passiert nichts. Das Sirenengeheul verebbt und aus Lärm wird allmählich Musik. Der an- und abschwellende Ton fügt sich nahtlos in den Klangnebel von „Distortion“ ein, bevor er sich in der Ferne verliert. Von dort scheinen auch die Klänge der mittlerweile siebten Platte von The Magnetic Fields zu kommen. Wie vom Winde verwehte Schiffsirenen treiben die Melodien von „Distortion“ auf einem Meer aus Reverb.

Nach den letzten zwei thematisch bestimmten Platten des Quartetts um Stephin Merritt – den 69 Lovesongs von „69 Love Songs“ und den allesamt mit“I“ beginnenden Stücken von „I“ – ist der gemeinsame Nenner von „Distortion“ akustischer Natur. Der Name ist Programm: Verzerrung dominiert das Klangbild, das sich an den Shoegazern der späten 80er orientiert. Auch hier wird auf die Bodenlosigkeit von Popsongs gestarrt.

Der Popnormalverbraucher wird im Booklet dieser CD womöglich nach einem Garantieschein suchen, so verwaschen klingt sie. Doch wer in den vermeintlichen Klangruinen die Wall of Sound erkennt, hinter der sich der geniale Songwriter Stephin Merritt versteckt, wird mit dieser Platte glücklich werden. Sie klingt als hätten die Beach Boys und nicht The Jesus & Mary Chain „Darklands“ aufgenommen. Im Luftschutzkeller, unter traurig heulenden Sirenen.

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