78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Rettet die Wale

Von    |   18. Oktober 2007   |   1 Kommentar

Er erinnert mich immer wieder an einen gestrandeten Wal. Am Strand der Popküste aufgelaufen wirkt er zwischen all den schönen Körpern trotz seiner Körperfülle wehrlos und zerbrechlich. Sein Gesang klingt, als trüge er das ganze Leid der Welt auf seinen Schultern. Und da dieses am geplünderten Land noch schwerer wiegt, als im leergefischten Ozean, kann man leicht Mitleid mit diesem Mann kriegen, der, seit er 1973 an einer Party aus dem dritten Stock stürzte, im Rollstuhl sitzt.

Nun ist er ein weiteres Mal gestrandet und wie immer ist das Medieninteresse gross, denn in Zeiten, in denen die Emissionen der Radio- stationen besorgniserregende Ausmasse angenommen haben, ist ein gestrandeter Wal ein dankbares Thema. Über die Jahre ist Robert Wyatt zu einem Kritikerliebling par excellence geworden, an dem auch das Bildungsbürgertum Gefallen findet. Das neue Rolling Stone (kauft das (noch) jemand?) protzt mit einem 16-seitigen Special über Wyatt, die Zeiten, in denen Robert Wyatt-Platten einen Distinktionsgewinn versprachen, sind also endgültig vorbei. Wer Robert Wyatt nach wie vor nicht kennt, steht deshalb nun bitte in die Ecke und schämt sich, während er das liest.

Mit seinem zwölften Soloalbum „Comicopera“ (Domino/Musikvertrieb) beweist Wyatt, dass er auch im Rentenalter mit der Avantgarde Schritt halten kann. Wie der 62-Jährige in „Out Of The Blue“ Stimmen sampelt, muss ihm erst mal jemand nachmachen. „Comicopera“ gewinnt einem schon mit dem einleitenden Anja Garbarek-Cover „Stay Tuned“ und bleibt über eine Stunde hinweg eine spannende Reise durch die zugänglichsten Galaxien des Wyatt’schen Paralleluniversums. Die jazzige Avant-Pop-Oper gliedert sich in drei Akte, die aus verschiedensten Erzählperspektiven um die Themen Liebe / Politik / Utopie kreisen. Im letzten Teil resigniert der bekennende Sozialist Wyatt vor dem Imperialismus der anglo-amerikanischen Kultur und flüchtet sich mit italienischem und spanischem Gesang in ein Märchenland, in dem er Che auferstehen lässt. Doch das abschliessende „Hasta Siempre Comandante“ ist kein Aufruf zum Kampf, es ist ein versöhnliches Lied von einem Wal, der sich damit abgefunden hat, an Land zu leben.

Robert Wyatt – „Just As You Are“
[audio:http://homepage.mac.com/calutron2000/Sites/domino/rwjaya.mp3]

Nächster Artikel

»

Eine Reaktion

  1. #1 aD!

    16:31 Uhr, 18.10.2007, Link

    ja, danke der nachfrage.

    ich habe den (deutschen) rolling stone abonniert – und lese ihn auch :-)

78s wird seit Juni 2015 nicht mehr redaktionell betreut. Die Kommentarfunktion ist deswegen deaktiviert.