78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Dear Bill

Von    |   6. April 2007   |   0 Kommentare

Vieles hat sich verändert, seit ich dich vor fast zehn Jahren kennengelernt habe. Beziehungen gingen den Bach runter, die Dotcom-Blase ist geplatzt, die Twin Towers sind eingestürzt, Raucherabteile wurden abgeschafft, Elliot Smith hat sich umgebracht, aber du bist immer noch da. Auf dich war stets Verlass. Wenn ich glaubte zu ertrinken, warfst du mir einen Rettungsring in Form einer Platte zu. So bist du für mich über die Jahre zu einem Fixstern am Songwriter-Himmel geworden, zu einem unsichtbaren Freund, zum „Rock Bottom Riser“.

Es scheint dir gut zu gehen. Auf „Woke On A Whaleheart“ klingst du unbeschwerter als früher. Liegt das an Joanna? Was läuft da eigentlich genau zwischen euch? Ihr tretet zusammen auf, sie macht ständig Fotos von dir… Ist sie das „Honeymoon Child“, das du auf deinem neuen Album besingst? Die Zeilen „You bring out the soft side in everyone / We gather like ravens on a rusty scythe / Just to watch such a little dove“ lassen es vermuten – aber eindeutig sind deine Texte ja nie. Selbst nach jahrelangem Hören lassen sich deiner hinterlistigen Poesie noch neue Lesarten abgewinnen. Gäbe es einen Pulitzer-Preis für Songwriter, du hättest ihn schon längst gewonnen.

Warum hast du dein Psedonym abgelegt? Wolltest du nach 11 Smog-Platten einen Neuanfang machen? Paradox eigentlich, dass du jetzt, wo du unter deinem bürgerlichen Namen aufnimmst, Produktion und Coverdesign in fremde Hände gibst. Viel scheint sich trotzdem nicht verändert zu haben. Da ist gewiss mehr sonniger Country als auch schon, doch du hast dich ja bereits mit „Supper“ und „A River Ain’t Too Much To Love“ allmählich vom verregneten LoFi-Lamento verabschiedet. Im Kern bist du der Alte geblieben, ein nüchterner Träumer, der seine Sehnsüchte mit knochentrockener Ironie zerschlägt.

Du bist eine der wenigen Konstanten in einem verworrenen Zeitalter, Bill. Einmal mehr hast du dein bislang bestes Album aufgenommen. Wäre die Welt gerecht, würde es „Diamond Dancer“ an die Spitze der Charts schaffen.

Take care. Keep on.

(„Woke On A Whaleheart“ von Bill Callahan erscheint am 18.4. bei Drag City/recrec)

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