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Öffentlich zelebrierte Emotion: Flennen bei Morrissey

Von    |   24. Dezember 2006   |   1 Kommentar

Crying Shame: Muses Matthew Bellamy macht Mädchen beim Eurockéennes Festival weinen. (Copyright Caro Buchheim)Vor Kurzem heulte, nein, flennte ich vor einer Bühne, auf der Morrissey gerade Life is a pigsty‘ sang. Soweit ich das durch meine verlaufende Mascara hindurch sehen konnte, ging es so ziemlich allen um mich rum genauso: Der Morrissey-Gig war ein Heulfest. Sicher hat irgendein Soziologe oder Musikwissenschaftler schon vor Jahren eine Doktorarbeit mit einem schöner Titel wie „I do my cryin‘ in the crowd: Öffentlich zelebrierte Emotion im geschützten Raum populärmusikalischer Konzerte“ geschrieben und das Phänomen Konzert-Weinen mit den Verlust kollektiv erlebter Religion und der Isolation und emotionalen Kälte der modernen Gesellschaft‘ erklärt.

Das ist sicher irgendwie richtig, aber eigentlich ist es wohl viel einfacher: Das Konzert hat die Disco als Ort der Flucht aus der Isolation ins Kollektiv abgelöst. Während im Indie-Club die Pose regiert, das Licht-Design verhindert, dass man den Mittänzern in die Augen gucken kann und jeder in Shoegazer-Manier auf die Gummikappen seiner Chucks starrt, findet im Konzert zwangsläufig Interaktion statt. Man steht zu lange, zu nah, zu eng bei Menschen, mit denen man zunächst nur die Liebe zu dieser einen Band teilt; Erst ist es zu hell und man selbst zu nüchtern; Später wird es zu laut, zu alle-Sinne-überflutend, und man selbst zu betrunken. „Wenn Du bei einem Konzert stehst, dann kannst Du die Einzelteile nicht mehr auseinander halten,“ hat mir Andreas Kubat, Sänger von Northern Lite, kürzlich erklärt. „Die Musik, die Lautstärke, das Licht, der Schweiß, die anderen Leute, und Deine Gefühle dabei, sie werden zu einem großen Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile.“

Ich glaube man begegnet bei einem Konzert nicht nur einer Band und deren Musik, sondern neben anderen Leuten letztendlich vorallem sich selbst. Man kommt sich näher, als man es sonst tut, und genau deshalb weint man, gegebenenfalls, und im besten Fall lacht man auch dabei. Denn so ist es halt, im Konzert, im Leben, im Pigsty: Himmelhochjauchzendzutodebetrübt.

Morrissey live und ohne Hemd:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=LUDn0xsLDeQ[/flash]

Eine Reaktion

  1. #1 mario

    17:41 Uhr, 26.12.2006, Link

    coole Kolumne!

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